Der unglückliche Tunichtgut

Ein kleiner unglücklicher Tunichtgut hat keinen leichten Stand in seinem Leben.

Doch dies sollte sich an jenem Tag schlagartig ändern

Es war einmal, vor langer Zeit, in einem Dorf, dessen Name bereits wieder in Vergessenheit geraten war, ein kleiner Tunichtgut.

Seine Augen waren hellblau, so hell wie der Himmel selbst und seine gelockte Haarpracht schien goldig zu sein. Man hätte fast meinen können, der Tunichtgut stamme aus adligem Hause wären da nicht seine Kleider gewesen. Er trug einen alten dunkelgrauen Hosenlatz, der an der Seite bereits zerfetzt war. Er war alt und abgetragen, doch trotzdem bedeckte, der für Erwachsene gedachte Anzug seinen ganzen kleinen Kinderkörper.

Verlassen von seinen Eltern, beging der unglückliche Tunichtgut jeden nur erdenklichen Unsinn. Er wollte mit aller Macht erreichen, gesehen zu werden, nicht vergessen zu werden. Denn er war ganz allein. So kam es auch vor, dass jede erdenkliche Missetat und jede Tragödie, welche sich im Dorf zuzog, ihm zugeschrieben wurde.

Viele im Dorf hielten ihn für einen wahr gewordenen Unglücksbringer, denn ganz egal welches Elend das Dorf heimsuchte, so war er stets am Meisten davon betroffen. Von den Dorfbewohnern wurde er deswegen gemieden. Sie hatten Angst. Angst davor ebenfalls an dem unheilvollen Unglück des kleinen Tunichtguts zu erkranken.

Kurzum: der Tunichtgut hatte keinen leichten Stand in seinem Leben.

Doch dies sollte sich an jenem schicksalhaften Tag schlagartig ändern.

Keine einzige Wolke zierte das Himmelszelt, während die Sonne mit all ihrer Kraft auf die Dorfbewohner hinunter strahlte. Es war ein schöner Tag. Die Kinder spielten auf den Strassen, während die Erwachsenen in ihren Häusern arbeiteten oder am Marktplatz versuchten ihre geschaffene Ware zu verscherbeln. Die Stadt lebte ihren Alltag und keiner ahnte von dem sich anbahnenden Unheil.

Innerhalb eines Moments, man hätte nicht mal Zwinkern können, schlug das Wetter dramatisch um. Wie von Zauberhand verdichteten sich die Wolken und begannen dick und grau zu werden. Sie zogen sich zusammen und stießen nebst heftigen Regenfällen auch lange erschreckende Blitze aus, welche begannen das Dorf zu zerstören. Die Sonne verschwand hinter dieser massiven Decke aus Unheil und Verzweiflung. Dann brach der Donner mit einem ohrenbetäubenden Lärm über dem Dorf aus. Gebäude fielen ein und die Dorfbewohner kreischten. Der kleine Tunichtgut versteckte sich zitternd in einem alten leeren Fass, während die grauenvolle Katastrophe ihren Lauf nahm.

Dann, wie aus dem Nichts, begann es zu summen. Ein unausstehliches Geräusch bahnte sich seinen Weg zu den Trommelfelder der ängstlichen Dorfbewohner. Es erinnerte an das Summen einer Biene, mit dem feinen Unterschied, dass schon mindestens eine Million Bienen hätten vorhanden sein müssen um einen derart lauten Ton hervorbringen zu können. Es summte und summte. Die Bewohner hielten sich die Ohren zu, der Tunichtgut verzehrte ein schmerzerfülltes Gesicht. Das merkwürdige Geräusch wurde immer lauter. Summ – Summ- Summ. 

Der dunkelgraue Himmel fing plötzlich an zu leuchten und ein langgezackter grüner Blitz löste sich vom Himmelszelt. Er traf das Dorf mitten ins Herz. Dort wo es am schwächsten war. Die Handelsbrücke, die eine ungemein wichtige Verbindung zum Nachbardorf herstellte, zerbarst in tausend Stücke. Die Dorfbewohner fingen an zu schreien und schlugen sich die Hände ins Gesicht. Ohne diese Brücke würden sie innerhalb weniger Wochen verhungern, da keine Lebensmittel mehr ins Dorf gebracht werden konnten.

Bevor sich die Dorfbewohner mit den neuen Umständen auseinandersetzen konnten, löste sich ein zweiter Blitz. Dieser richtete sich nun gegen die Dorfmitte, wo all die Dorfbewohner versammelt waren. Schreiend rannten sie weg, in ihren Augen manifestierte sich die pure Angst. Der Blitz schlug ein.

An der Stelle, an der eigentlich ein riesiges Loch hätte sein müssen, stieg nun Rauch auf. Die Dorfbewohner schauten ängstlich auf. Der Tunichtgut streckte seinen Kopf aus dem leeren Fass und versuchte einen Blick auf das Geschehen zu erhaschen. Der Rauch verflog langsam und legte etwas frei, was sich kein Mensch der Welt je hätte vorstellen mögen.

Ein riesiges Wesen, etwa drei Meter groß, stieg aus dem sich verziehenden Rauch auf. Es hatte Hufe statt Beine, obwohl es aufrecht ging. Sie waren mit einem dunkelbraunen, fast rötlichen, Pelz übersehen und ragten bis zur breiten Hüfte des Ungetüms. Sein Oberkörper war menschlich. Es war der eines Mannes, so hatte es jedenfalls den Anschein. Er war breit und muskulös und brachte den Ausdruck von ungeheurer Kraft mit sich. Sein Gesicht war alt, sehr alt. Er lachte hämisch während er durch seinen langen grauen Bart fuhr. Seiner Stirn entsprangen zwei lange blutrote geschwungene Hörner.

„Ha-Ha-Ha“ lachte die Bestie höhnisch. „Dorfbewohner!“ schrie er. Die Masse zuckte zusammen als sie die raue und uralte Stimme des Monsters vernahm. „Heute ist euer Glückstag!“ meinte es, während sein Ausdruck die reine Bosheit vermittelte. „Ich kann eure geliebte Handelsbrücke im Null Koma Nichts wieder reparieren.“ Die Bewohner spitzten die Ohren. Ohne die Brücke würde das Dorf nicht überleben. „Doch leider…“ begann die Bestie, „brauche auch ich etwas, dass mich am Leben erhält.“. Der Tunichtgut runzelte die Stirn. Was könnte eine so mächtige und uralte Kreatur denn schon zum Leben brauchen? Warme Brötchen konnte er nicht gemeint haben.

„Gebt mir eine Seele und die Brücke wird in neuem Licht erstrahlen und standfester sein als sie es je war“ schlug die Bestie vor, während sie Schritt für Schritt auf die Dorfbewohner zuging. Ein Raunen ging durch die Menge. Würde man wirklich soweit gehen? War man bereit einer der Dorfbewohner zu opfern, nur um die Brücke wiederherstellen zu können? Wie viel war das Leben eines Dorfbewohners wert? Welches Leben hatte am wenigsten Wert?

Die Bestie bemerkte, dass sie die Dorfbewohner bereits in der Tasche hatte.

Es ging nicht lange, bis ein aufgebrachter Bewohner laut aufschrie: „Der Tunichtgut! Er ist für diese Misere verantwortlich, also soll auch er sie wieder ausbügeln!“ befahl er der Menge. Die Dorfbewohner horchten auf und schauten sich um. Wo war der Tunichtgut? Er hatte dieses Elend zu verschulden, also sollte auch er den Kopf dafür hinhalten.

„Dort im Fass“ deutete ein anderer Bewohner an, während er mit dem Finger auf den Tunichtgut zeigte. Die Menge packte den armen Jungen und war ihm der Bestie wortwörtlich zum Fraß vor.

Der Tunichtgut sagte nichts. Er war mittlerweile aschfahl geworden und drehte sich nun zur Bestie um. „Lecker!“ entgegnete die Bestie und machte einen Satz nach Vorn. „Deine Seele verspeise ich gleich hier und jetzt!“schmatze das hungrige Ungetüm, als ob es seit Jahrzehnten nichts mehr gegessen hatte. Es rannte los und streckte seine Hand nach dem Tunichtgut aus.

Doch dieser lachte nur.

Kaum hatte die bestialische Hand des Monsters die kleine Kinderschulter des Tunichtguts berührt, so fing sie an zu brennen. Blaue Flammen umhüllten die Tatze des Monsters und verwandelten sie in Asche. Die Bestie schrie auf. Ein lautes Heulen ging durch das Dorf.

Sie griff den Tunichtgut erneut an. Mit lautem Gebrüll stürzte sie ihre andere Hand auf den kleinen Körper und versuchte sie mit einem Schlag zu zerfetzen.

„Ahhh!“ hallte es während die Dorfbewohner ungläubig dem Geschehen folgten. Auch die andere Hand des Ungetüms verbrannte zu Asche. „Wer bist du?!“ fragte die Bestie. In ihrer Stimme lag eine Spur von Angst. Der Tunichtgut schaute auf. Seine Augen waren mittlerweile leuchtend Blau und seine blonden Haare schienen mittlerweile tatsächlich goldig zu sein.

Seine Miene verdüsterte sich und er schrie mit lautem Gebrüll: „Ich bin der Schutzengel dieses Dorfes!“. Urplötzlich entsprangen seinem Rücken zwei riesige Flügel, die beide grösser waren als er selbst. Die Flügel bestanden aus hellweißen langen Federn und hätten gar einen Riesen tragen können.

Der Bestie war die ganze Farbe aus dem Gesicht gewichen. Sie fing an zu heulen und wollte sich so schnell wie möglich aus dem Staub machen. Doch der Tunichtgut konnte und wollte ihr nicht dafür vergeben, sein Dorf angegriffen zu haben.

Er packte die Bestie und flog mit ihr über die zerstörte Brücke. Unter Ihnen lag die steinige Schlucht. Dann begann der Tunichtgut etwas in einer wahrscheinlich längst vergessenen Sprache zu murmeln. Die Dorfbewohner konnten ihn nicht verstehen, doch die Bestie schien der fremden Sprache Herr zu sein. Ihre Augen weiteten sich und sie begann sich zu winden um schnellstmöglich den Fängen des Tunichtguts zu entkommen. „Das kann nicht dein Ernst sein?!“ sprach sie angsterfüllt.

Auf einmal begannen die Flügel des Schutzengels hell zu leuchten. Sie fingen an zu wachsen und wurden immer grösser, bis sie schlussendlich immense Ausmasse erreicht hatten. Die Bestie zappelte hin und her. Der Tunichtgut sah ihr in die Augen und brüllte sie an: „Du hast mein Dorf angegriffen und die Menschen die ich so sehr liebe in Gefahr gebracht. Du verdienst den Tod!“

Der Schutzengel umhüllte mit seinen Flüglen die beiden Körper. Dann ließ er sich mitsamt der Bestie in den Abgrund fallen.

Die Dorfbewohner rannten alle zu jener Stelle, an der einst die Brücke stand, um zu sehen was vorgefallen war. Doch bevor sie die Schlucht erreichten fing der Erdboden an zu beben. Die Dorfbewohner fielen zu Boden.

Eine riesige Explosion im Herzen der Schlucht zerriss sowohl Engel als auch Bestie in Tausend stücke.

Der Engel hatte sich geopfert.

Ein glänzend weißes Licht entwich der Explosion und blendete die Dorfbewohner. Als sie in den Abgrund hinunterschauen wollten, erschienen die großen weißen Flügel des Tunichtguts. Die Menge jubelte.

Doch der kleine Kinderkörper war nirgends auszumachen. Der Junge war tot.

Die Flügel fingen an ihre Form zu verändern. Sie wurden lang und gerade. Innerhalb weniger Minuten bildeten sei eine riesige Brücke, die sich mit einem lauten Knall an jene Stelle positionierte an der einst die alte Handelsbrücke stand.

Das Dorf war gerettet, aber der kleine Tunichtgut war nicht mehr.

Mittlerweile sind viele Jahrzehnte seit diesem unglückseligen Tag vergangen und die Bewohner des Dorfes konnten ihr Leben wieder wie gewohnt weiterleben. Es schien alles so, als ob sich nichts geändert hatte. Einzig und alleine eine kleine Engelsstatue vor der riesigen Handelsbrücke schien an das überstandene Unglück zu erinnern.

Ein kleiner Junge, nicht älter als elf oder zwölf Jahre alt ging an ihr vorbei. Er strich sich seine blonden gelockten Haare aus dem Gesicht um mit seinen hellblauen Augen die Inschrift auf der Statue lesen zu können: „Manchmal sind es diejenigen Menschen, von denen wir es am wenigsten erwarten, die am Meisten für uns Tun“.

Der  Junge lächelte und überquerte die große Brücke.

I.F.

2 Antworten auf „Der unglückliche Tunichtgut

  1. Hallo 🙂 Danke für das teilen dieser Geschichte!
    Einzig eine „Kritik“ hätte ich, obwohl es ist nur ein Tippfehler bei „Es erinnerte an einem Summen einer Biene,“ stimmt der Satz nicht wirklich.

    Zur Geschichte selbst; mir gefällt die Botschaft sehr, die du mitteilen möchtest. Es bringt auf jeden Fall rüber, dass man die kleinsten nicht unterschätzen sollte. Und ausserdem zeigt es auch wie grausam Menschen sein können und ja sogar auch selbstsüchtig! Doch der kleine Tunichtgut hat grosse Stärke bewiesen und sogar darüber hinweggesehen, das ist schön!

    Viele Grüsse
    E.

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    1. Bonjour Madame, Ich danke dir sehr, hast du dir die Zeit genommen um diesen schönen Kommentar zu hinterlassen! 🙂 Ich werde den Satz noch grammatikalisch anpassen. Vielen Dank! Es freut mich, hat dir die Geschichte gefallen. Fühl dich frei wieder vorbeizuschauen! Die nächste Geschichte steht schon in den Startlöchern.

      In der Hoffnung, dein Tag möge wunderbar sein, verbleibe ich

      Herzlichst

      I.F.

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